Nalbuphin – ein Signalement

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Nalbuphin (N) ist ein Opioid vom Typ ‚gemischte Agonist-Antagonist’ (allgemein als ‚Partialantagonisten’ bekannt). Während die Analgetische Wirkintensität auf dem µ-Rezeptor relativ schwach sei, ist die Affinität hier sehr groß. Dadurch verdringt N die klassische Opioide wie z. B. Morphin, Pethidin und Fentanyl weitgehend aus diesem Rezeptor und wirkt somit eher Antagonistisch. Auf dem k-Rezeptor, dem vor allem Sedation und spinale Analgesie zuge­sprochen wird, wirkt N Agonistisch und mit weniger starke Affinität. In der klinischen Praxis bedeutet dies, dass die analge­tische und antagonistische Wirkung mit einer Dosis (20 mg oder 0,3 mg/ml) weitgehend erfüllt wird, während weitere Dosen die Sedation verstärken wird. Interessanter, jedoch von den Anästhesisten nicht verstanden, ist die enorm unterschiedliche klinische Wirkung bei der Reihefolge von der Applikation von Opioide. Darauf wird später ausgiebig zurückgegriffen.

      N hat keine Wirkung auf den s-Rezeptor, vermutlich auch keine Affi­nität. Dies ist ein wichtiger Vorteil zu andere Partialagonisten wie Pentazo­cin und Butorphanol, sowie zum Morphin selbst. Vor allem Dysphorie, sel­tener kardiale Nebenwirkungen, wird diese Rezeptor-Wirkungen zuge­schrieben. Allerdings wird neuerdings bestritten, ob der s-Rezeptor als Opiatrezeptor anzusehen ist – eine etwas eigenartiger, dogmatischer Definition der Opiatrezeptoren beruht auf die Affinität von Naloxon. Zwar haftet Morphin (ein Opium-Derivat) darauf, aber nach der Ansicht einiger Pharmakologen ist die fehlende Affinität von Naloxon jetzt entscheidend. Eigentlich nur ein Spiel um Wörter, an den Nebenwirkungen dieser Rezeptor ändert es nichts.

      Die klinische Wirkdauer wird mit 3-5 Stunden angegeben (die der antagonistische Protektion ist wesentlich länger); N zählt somit zu den mittellangwirkende Opioide. Es ist sinnlos von Äquipotenz zu sprechen (wird aber trotzdem gemacht), da es bei N im klinischen Bereich zu einer ‚ceiling-effect’ kommt, während die Opioid-Agonisten hier einen linearen Dosis-Wirkungs-Verhältnis unterlegen. Man kann aber behaupten, dass ein Standard-Mensch mit 20 mg N so gut analgetisch bedient wird wie er mit 10 mg Morphin gewesen wäre.

      Organtoxische Wirkungen sind nicht bekannt (hier unterscheidet sich N nicht von den übrigen Opioiden).

 

Klinische Vorteile von Nalbuphin

 

N führt in der erwähnte Dosierung zu einer meist ausreichender Analgesie bei einem Sicherheitsnetz für Überdosierungen, die bei keinem anderen Opioid bekannt ist. Zu meiner Zeit wenigstens – natürlich kontrollbedürftig – gab es kein anderes opioid-haltiges Analgetikum, die nicht als Betäu­bungsmittel (BTM) registriert wurde. Dies machte vor Allem der Anwen­dung in der prähospitalen Notfallmedizin unkompliziert. Hier ist in anderen Ländern auch der Einsatz in den Händen von Paramedics (Rettungsassis­tenten) erlaubt. Es ist (ebenfalls kontrollbedürftig) kein einziger Fall bekannt, wo die Verabreichung von N zum Tode führte. Das kann man von allen anderen Opioiden nicht behaupten.

      Die Verwendung mit Etomidat zusammen verdient besondere Beach­tung. Meiner eigene Erfahrung zu Folge (leider kann ich hier auf keine andere Quellen verweisen) ist es die einzigste Substanz, die gleichzeitig die Myocloni reduzieren kann und eine ungestörte Atmung zulässt. Dies führte dazu, dass ich diese Kombination auch für wenig schmerzhafte Kurzeingriffe verwendete (die Beschreibung von solche Prozeduren als ‚Sedation’ sollte man tunlichst unterlassen – die Injektion von Anästhetika führt zu einer Anästhesie, und die Gefahren dabei lassen sich nicht weg­reden durch Verwendung einer anderen Terminologie).

      Ebenfalls konnte ich einen sinnvollen Synergismus mit Midazolam erzie­len. Dieser ist aber mit einer gewissen Vorsicht zu genießen, denn es kommt hier leicht zu einer übermäßigen Sedation, auch Atemdepression kann hier vorkommen. Gerade in der Notfallmedizin führt diese Kombi­nation mit einem Anxiolytikum zu einer erheblichen Potenzierung der Analgesie. Diese Kombination kann auch dazu verwendet werden, eine insuffiziente Sedation zu ergänzen wo eigentlich keine Analgesie erfor­derlich war. Besser wäre es, wenn man dieses voraussehen konnte bevor man viel Midazolam gegeben hat, denn während Midazolam sich hervor­ragend titrieren lässt, kann man genauso gut eine ganze Ampulle N gleich von Anfang an verabreichen, und dabei könnte die Synergismus auch ungünstig ausfallen.

      Der größte klinische Erfolg war der Einsatz von Nalbuphin als Anta­gonist bei der Drogenintoxikation. Hier besteht ein Abgrundtiefer Unter­schied zur herkömmlichen Antagonisation mit Naloxon, die leider immer noch von den meisten Notärzten traditionshalber bevorzugt wird. Naloxon wirkt zu kurz (Gefahr der Wiedereintrübung) und zu kompromisslos stark (abruptes Aufwachen, akuter Entzug mit Aggressivität, selten gar kardiale Nebenwirkungen). Selbst die zusätzliche Gabe von 3-5 Ampullen Naloxon i.m. zur Überspielung der kurzen Wirkdauer genügt oft nicht, ich habe selbst einen jungen Drogensüchtige erlebt, der 4 Stunden später Atem­stillstand bekam und später daran starb. Hingegen führt die Gabe von N nur selten (und dann nur abgeschwächt) zu Entzugssyndromen, es genügt oft die i.m. Gabe von einer einzelnen Ampulle, die Antagonistische Wirk­dauer ist natürlich länger als die Analgetische. Mit dieser Argumentation begründe ich, dass die Verwendung von Naloxon als Antagonist bei der Drogensüchtigen nur auf die Tradition beruht, logisch ist es jedenfalls nicht.

      Unsicher ist die antagonistische Wirkung gegen der Überdosierung von Methadon und Buprenorphin. Hier habe ich nur meine eigene Beob­achtungen in 1 Fall (Methadon) bzw. 2 Fälle (Buprenorphin) in dem N eine Besserung der Atmung bewirkte, in allen drei (übrigens iatrogenen) Fäl­len, so dass eine Beatmung umgangen werden konnte. Die drei Patienten benötigten aber wiederholte Injektionen (etwa drei Mal am Tag) und waren darunter deutlich sediert in den Tagen wo der Therapie erforderlich war. Es war also keine absolute Erfolg, zeigte sich aber dennoch als berechtigt, denn hier hat Naloxon keinerlei Wirkung und es konnte doch sonst erforderliche Beatmungen vermieden werden – was zu diesen Zeit mangels freie Geräte auch nur durch eine weite Verlegung des Patienten möglich gewesen wäre.

 

Nebenwirkungen und wie Nalbuphin
bei den Anästhesisten in Verruf kam

 

Prominenteste Nebenwirkungen von N sind die Schmerzen bei der Injek­tion. Man möge fragen, ob dieses galenisches Problem nicht durch eine lipidhaltige galenische Präparation gelöst werden könnte, so wie es bei etomidate der Fall wurde. Das (zu Unrecht) geringe Interesse der Anästhe­sisten in dieser Substanz lässt aber weitere Entwicklung wohl kaum zu.

      Übelkeit und Erbrechen ist zwar sehr selten nach analgetischer Ver­wendung, konnte nach der Anästhesie aber dann in Einzelfällen recht heftig sein (synergistische PONV?), so dass man in diesem Kontext nicht von einem Vorteil ausgehen konnte.

      Synergismus ist auch Schuld daran, wenn die sedative Komponente stärker wird als angestrebte – plus falsche Verwendung, wenn der Arzt diese Möglichkeit in Erwägung zieht. Ich habe gelegentlich die Kombina­tion von N und Midazolam für reine Sedation ohne analgetischer Bedarf verwendet, aber hier fällt bald auf, dass es für die Dosierung einen Unter­schied gibt, wonach man (falls vorhersehbar) am besten das N vorher gibt. Das Nalbuphin kann eigentlich nicht titriert werden, ganz im Gegen­satz zu Midazolam. Wenn man also erst das N geben möchte, nachdem man mit Midazolam nicht mehr klar kommt, kann es zu einer ‚unvorher­sehbarer’ Synergismus kommen. In dieser Situation möchte ich auf zwei Maßnahmen hinweisen: 1. Das frühzeitige Erkenntnis einer paradoxen Reaktion nach Midazolam (Therapie: Flumazenil) oder 2. Die Gabe von N spätestens nach 2,5 mg Midazolam. Später kann Midazolam immer noch titriert gegeben werden.

      Eine andere pharmakologische Wirkung, die in der Anwendung als Nebenwirkung verstanden werden kann, führte dazu, dass N unter den Anästhesisten in Verruf kam. Schuld daran war ein wohlgemeintes Miss­verständnis, genannt ‚sequentielle Analgesie.’ In der Annahme, dass die analgetische Potenz von N für die postoperative Analgesie ausreichen würde, wurde vorgeschlagen, dieses als ‚on-top’ Medikation am Ende der Operation zu verabreichen – dann natürlich wenn die Patienten respira­torisch insuffizient in Folge einer hohen Fentanyl-Gabe waren (ein tradi­tionsbedingtes Fehlverhalten für sich, die nie angesprochen wurde). Es war nur ein halber Erfolg: Die Patienten fingen tatsächlich an wieder ausreichend zu atmen. Leider war dies begleitet von starken Schmerzen. Dies führte zu der Aburteilung von N als schlechtes Analgetikum. Was war passiert?

      Erstens wurde Fentanyl zu hoch dosiert eingesetzt. Das Märchen von einer kurzwirkende Substanz mit Halbwertszeit von etwa 40 Minuten hällt sich bis heute, obwohl dies mit etwa 3,5 Std. jetzt belegt ist. Zweitens wurde bei dieser Fentanyl-Menge kein weiterer endogener Analgesiemechanismus aktiviert. Drittens wurde dann eine schonungslose Antagoni­sation durchgeführt. Dabei konnte die mit einem ceiling-effekt gekenn­zeichnete N-Analgesie doch kaum was erreichen im Vergleich zur hohen Fentanyl-Konzentration. Und titrieren lässt sich diese Substanz wirklich schlecht. Viertens hatte der Patient wirklich starke Schmerzen, im Gegensatz zum antagonisierten Drogenopfer. Eigentlich alles logisch, wenn man darüber nachdenkt ...

      Eine wiederholte Kritik meines Einsatzes von Nalbuphin in der Notfall­medizin seitens der Kollegen in der Klinik war, dass sie jetzt nicht ihre hochdosierte Opioid-Anästhesien verwenden konnten. Mein Angebot zu erklären, wie man dann anders Anästhesieren konnte, wurde (vielleicht nicht zu unrecht) als arrogante Aussage bewertet. An meine Technik hat dieses Argument nicht, an die der Kollegen in der Klinik gezwungenerweise schon.

      Völlig unbegreiflich wird es aber für den ‚rezeptorspeziphischen’ Anästhesisten wenn man versucht die folgende Modelle zu erklären: Wenn man 20 mg N und 0,1 mg Fentanyl gibt (und somit die gleiche Rezeptorbesetzung erzielt), ist die Reihefolge der Applikation alles ent­scheidend für die klinische Wirkung in der Schmerztherapie. Wird vorerst Fentanyl gegeben, führt die nachfolgende Gabe von N zum Bild einer Antagonisation, wie gerade eben beschrieben. Wird erst N gegeben (und man erkennt, dass eine Ergänzung wäre passend), führt Fentanyl zu einer schwachen, aber doch fassbare additive Wirkung – ganz von den Rezep­toren wird es also nicht weggeblasen. Sehr wichtig ist dieses Konzept nicht, die additive Wirkung ist zu schwach um daraus ein Prinzip wachsen zu lassen, und theoretisch ist die Modelle nur für Fortgeschrittene.

 

 

Zusammenfassung:

 

N ist eine sehr interessante Substanz, der eher auf ungewöhnliche Indikationen oder besondere Kombinationen (mit Etomidat oder Midazolam) das therapeutische Spektrum in Anästhesie und Notfall­medizin erheblich erweitern kann – falls die noch ausübenden Kollegen dieses Faches die Möglichkeiten erkennen. Dies scheint jedoch nicht sehr wahrscheinlich.

 

 

 Eingesetzt 22.05.04


 

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