Die Schnellintubation [crash-induction, rapid-sequence-induction] gilt (noch) als Methode der Wahl bei nicht-nüchternen Patienten, sowie dem besonders gefährdete Patientenklientel (Ileus, Oesophagusachalasie, Schwangere und sehr adipöse Patienten in erster Reihe, den „nicht-nüchternen Patienten“ in zweiter Reihe). Auch diese Methode gilt nicht als absolut sicher. Sicher wäre es mehr sicher, wenn es korrekt verwendet wurde. Den folgenden Fehlern werden hier immer wieder beobachtet:
1 Es wird keine richtige Präoxygenierung verwendet (dichtgehaltener Maske mit 100% O2 für mindestens 3 Minuten).
2 Es wird keine entsprechende Dosierung, vor allem von Succinylcholin verwendet (mindestens 1,5 mg/kg nach Präkurarisierung, die mittlerweile auch empfohlen wird!).
3 Es wird nicht lange genug gewartet, bis die Patienten voll relaxiert sind (45 Sek nach Injektion korrekter Succinylcholindosis).
4 Bei hochrisikopatienten
soll zusätzlich einen Magenschlauch vorher, also im wachen Zustand
gelegt werden und diese Abgesaugt, eventuell aber direkt vor der Intubation
entfernt werden. Hat der Patient unmittelvorher gegessen, ist das Erbrechen
ein anstrebungswerter Nebeneffekt (d.h., es soll nicht dafür reklamiert
werden) weil feste Bestandteile nicht durch den Magenschlauch fließen.
Gelegentlich kann bei der nicht-nüchternen Patient doch auf diese
Maßnahme verzichtet werden.
II. Fehler und Fehleinschätzungen bei der Relaxometrie
Die Relaxometrie (Neuromuscular Tracing, NMT) ist eine gute Steuerung der Muskelrelasation, wenn dieser eine Bedeutung beigemessen wird in der Anästhesie. Ich habe jedoch gesehen, wie dieses oft falsch verwendet wird und möchte jetzt schriftlich darauf hinweisen.
1. Der elektrische Stimulus ist schmerzhaft! Bevor es an Patienten eingesetzt wird, sollte der Anästhesist es an sich selbst probieren. Verwende dazu den Single-Twitch bei 10 mA, anschließend 20 mA und das genügt wohl. Der Patient erhällt etwas mehr, aber ab jetzt, nach dieser Einsicht des Anästhesisten, nie wieder repetitiv und niemals nach Ausschalten von Lachgas (oder andere Anästhetika).
2. Eigentlich mußte ich hier schreiben, daß zu oft nicht die Submaximale Stimulationsniveau verwendet wird. Diese liegt zwischen 50 und 80 mA und müßte individuell getestet werden. Erfahrungsgemäß kommt man jedoch mit weniger aus und könnte somit dem Patienten eine unnötige, iatrogene Schmerzreiz ersparen. Besonders schmerzhaft ist die Tetanie bei der posttetanic count (PTC), dieser läßt sich aber meistens mit 30 mA gut auslösen.
3 Die reine neuromuskuläre Übertragung erfährt man auf die Hand nur in den Bewegungen des Daumen. Bewegen sich nur die anderen Finger, liegt vermutlich eine andere Fehler vor: Eine inkorrekte Elektrodenplazierung könnte hier eine Rolle spielen, oft liegen die Elektroden mehr über N. medianus als über N. ulnaris.
4 Seit NMT zunehmend verwendet wird, hat sich die Intubationszeit wesentlich verlängert. Erst jetzt ist die lange Anschlagszeit wohl bekannt. Allerdings kann man den nüchternen Patienten auch bereits nach 90 Sekunden intubieren, bevor die Relaxation laut NMT komplett ist, wenn eine Intubationsdosis der Relaxantien verwendet wird.
5 Es hat wohl wenig Sinn, NMT zu verwenden wenn der Patient trotzdem nicht ordentlich relaxiert wird.
6 Das Erholen auf vier tastbaren Reizantworten auf der Train-of-Four (TOF) ist kein Garantie für eine klinische Erholung aus der Muskelrelaxation. Wer darauf achtet, muß andere Kriterien dazulegen.
Ich habe von mehreren Seiten gehört, daß die (neue) Relaxometrie nicht zuverlässig ist. Dies entspricht jedoch nicht meinem Eindruck, allerdings muß die NMT genauer beobachtet und gedeutet werden als es bisher der Fall war.
1. Die NMT besteht aus zwei Komponenten: Die Stimulation (die hervorragend fungiert, wenn die Elektroden gut überleiten) und das Ablesen der Reizantwort, was getastet, gesehen oder gemessen werden kann. Es ist fast immer das Ablesen, das Probleme bereitet, vor Allem wenn man sich zu sehr auf die gemessene Antwort verläßt ohne diese gleichzeitig "konventionell" zu überprüfen.
2. Viele nehmen die Relaxometrie mit in die Einleitung und intubieren erst, wenn der Patient entsprechend dieser als "relaxiert" zu bezeichnen wäre. Dies entspricht allerdings nicht der früheren Praxis. Tatsächlich wurden die Patienten sonst immer zu einem früheren Zeitpunkt intubiert, ohne daß es jemanden gestört hatte, und es ist in der Literatur auch von "Intubationsqualität" zu lesen. Am Besten, man fängt im Vorraum gar nicht mit der Relaxometrie an (falls nicht die supramaximale Stimulation ermittelt werden soll), sondern erst wenn der Patient im Saal ist.
3. Bei diesem Gebrauch kann man allerdings nicht auf die "supramaximale Stimulation" zurückgreifen. Dies setzt eigentlich voraus, daß der Patient bis zur Bestimmung des Niveaus auf dem die Maximale Reizantwort gemessen wird, nicht relaxiert wird, also auch keine priming erhält. Die häufige Einstellung auf S(70mA) verrät, daß dies nicht verstanden wurde. Ich empfehle bei Erwachsenen 40-50 mA, allerdings verbunden mit einer Pulsbreite von 200 mS.
4. Die Reizantwort bleibt auch deshalb nicht konstant während der Operation weil z.B. Temperaturänderungen und Elektrolytverschiebungen einen Änderung des Hautwiederstandes verursacht.
5. Das priming principle verwenden wir seit 1985 in Lörrach. Demnach kann man die Relaxation akzellerieren, wenn man eine kleine Dosis des nicht-depolarisierenden Relaxans vor der Einleitung gibt, und so wurde es auch leichter gemacht, von der Succinylgabe wegzukommen. Vor einiger Zeit habe ich allerding feststellen können (mittels einen Leihgerät zur EMG und quantitative Relaxometrie) daß dies bei Cisatracurium nicht der Fall ist. Da die Literatur zu diesem Thema schweigt kann man - wenn man meinen Ergebnissen überhaupt glaubt - nur über die Ursache spekulieren, siehe später. Überwiegend werden die Ergebnisse wohl nicht geglaubt, denn das Priming-Principle findet noch lebhaften Gebrauch.
6. Eine "falsch-negative" Relaxometrie wird vernommen, wenn die Stimulation nicht sachgemäß über N. Ulnaris gegeben wird (selten) oder wenn die Abnahme einen Ausschlag nicht registriert (häufig). Die Stimulation selber können wir als Perfekt betrachten, nur die Position und Leitfähigkeit der Elektroden geben manchmal Anlaß zur Kritik. Ob die Abnahme dann gut registriert, kommt auf die Probe an, d.h., man muß beobachten ob es eine Reizantwort gibt, bevor man sich über einen negativen Befund aufregt. Eine bessere Antwort wird oft registriert, wenn der 3. und 1. Finger (anstatt, wie empfohlen, der 2. und 1.) verwendet werden, denn dies entspricht eher die Bewegung der Daumen bei der Stimulation des N. abductor pollicis. Die 4. und 5. Finger verbieten sich wiederum da sich hier nicht nur die neuromuskuläre Übertragung bemerkbar machen können.
7. Ein "falsch-positiver" Wert wurde auch gelegentlich gesehen. Ich führe dies auf eine besondere Eigenschaft von Cisatracurium zurück, denn bei manchen Patienten ist eine komplette Relaxation mittels der Reizantwort nicht oder kaum möglich. Im Zusammenhang mit der anderen Beobachtung beim versuchten priming mit der Substanz habe ich die Hypothese erstellt, daß Cistatracurium als Partialantagonist auf die ACh-Rezeptoren agiert (also gewissermaßen sich selbst antagonisiert), oder aber es einen noch komplexere Wirkweise gibt, ähnlich dem Dualblock bei Succinylcholin. Falls jemand etwas dazu liest, bin ich natürlich daran sehr interessiert.
Eine Auswirkung davon ist, daß große Dosen von Cisatracurium bei manchen Patienten keine komplette Relaxation bewirken, wohl aber eine starke Abschwächung der Signale - wenn man die selbst beobachtet. Im Gegensatz zu der normale Abschwächung gibt es hier kaum abgeschwächte Signale. Ich habe gesehen, wie auf dem Monitor vier große Balken abgebildet wurden, mit einem T4/T1 Koeffizient von über 70. Am Daumen selbst war zu gleichem Zeitpunkt kaum etwas zu bemerken. Als die Wirkung von Nimbex langsam ausgeklungen war, kam es zunehmend zu der vorher erwähnten Abschwächung - ohne etwas nachzuspritzen zeigte der Monitor eine abnehmende Wert von bis zu 9% in diesem Fall, bevor er dann wieder auf traditionelle Weise angestiegen ist. Die Erklärung liegt darin (und ist bei der optischen Beobachtung doch leicht festzustellen), daß nicht die 4. Reizantwort schwächer wurde, sondern die 1. eben stärker.
Meiner Kenntnis nach wurde dieses Phänomen nicht in der Literatur beschrieben, und es wurde auch kein Versuch unternommen, nicht-zu-relaxierende Patientengruppen näher zu definieren und studieren.
8. Die Relaxometrie ist schmerzhaft, bei manchen Anästhesien und Operationen gar das schlimmste, was dem Patienten in dieser Phase überhaupt angetan wird. Andererseits ist die komplette Relaxation eine Voraussetzung für die flache Narkose (z.B. meine "Wikinger-Anästhesie") - und gerade dort besonders schmerzhaft. Bevor er an Patienten eingesetzt wird, sollte der Anästhesist es unbedingt an sich selbst probieren. Verwende dazu den Single-Twitch bei 10 mA, anschließend 20 mA und das genügt wohl. Um diese Stimulation auch bei Patienten in Grenzen zu halten, empfehle ich 1) geringere Stimulationsamplitude (die in der Literatur verlangte supramaximale Stimulation ist nicht unabdingbar für den klinischen Gebrauch, 30-50 mA genügen eigentlich immer für die Monitoring) 2) längere Intervalle (5 Min bei Cisatracurium) und 3) Dekonnektierung der NMT bevor das Lachgas ausgemacht wird.
9. Es hat wohl wenig Sinn, NMT zu verwenden wenn trotzdem nicht ordentlich relaxiert wird.
Wenn diese Voraussetzungen bekannt sind, bietet die NMT praktisch immer eine wertvolle Monitorierung in der generellen Anästhesie.